
Bild: Stefan Kottas
„Bitte beachten Sie, dass die Veranstaltung heute live auf Periscope übertragen wird!“ Einen besseren Einstieg ins Thema #Open konnte es fast nicht geben: nicht nur die Gäste im Saal konnten die kommenden zwei Stunden verfolgen – sondern auch alle, die sich live von wo auch immer zugeschaltet hatten. So viel zu open und den neuen Möglichkeiten in „diesem Internet“. Das Internet bietet aber noch weitere Chancen – nämlich auf insgesamt mehr Transparenz, Beteiligung und Teilhabe der Menschen am offenen Verwaltungs- und Regierungshandeln im Land. Damit ist das Thema der Podiumsdiskussion schnell umrissen: Wie open ist eigentlich NRW und wie geht es nach der Landtagswahl weiter auf dem Weg zu mehr Open Government?
Vor der Landtagswahl in NRW im Mai sprachen wir darüber mit den im Landtag NRW vertretenen Parteien: Matthi Bolte (MdL Grüne), Robert Stein (MdL CDU), Marcel Hafke (MdL FDP), Frank Herrmann (MdL Piraten) sowie Jasper Prigge (Landtagskandidat NRW der Linken). Diskutiert haben auch: Hartmut Beuß als Beauftragter der Landesregierung für Informationstechnik und Panagiotis Paschalis als Beigeordneter der Stadt Wuppertal für Bürgerbeteiligung und E-Government. Die SPD war nicht vertreten, Termingründe standen im Weg.
Fazit schon hier: Alle sieben Geladenen verstanden und zeigten sich als Treiber für eine Politik des Open Government. Die Frage, wie #open ist denn NRW beantworteten sie mit einem selbstbewussten „sehr“. Diagnostiziert wurde durchweg von allen, dass sowohl Politik als auch Verwaltung gerade einen regelrechten Kulturwandel durchlaufen an dessen Ende bestenfalls Open Government stehen wird.
Ferner: Open Government ist offenbar ein Thema, welches kaum in der öffentlichen Wahrnehmung angekommen zu sein scheint. Bisher wird es eher als ein Nischenthema für Nerds oder eine eingeschworene Community behandelt – ein politischer Brückenschlag in den Lebensalltag der Menschen ist noch nicht gelungen. Zumindest was die Begrifflichkeit angeht – während die Forderungen und Inhalte wie Transparenz und Koproduktion und Beteiligung in der Bevölkerung immer stärker erwachen. Es ist also eine große Aufgabe für die Landespolitik, den Weg auch in die Kommunen zu finden und mit Impulsen der Landespolitik zu befeuern. In dem Punkt herrschte Einigkeit. Aber dann stachen auch die Unterschiede für das “Wie kann das gelingen?” heraus:
Moderator Dieter Hofmann als Initiator von Offene Kommunen.NRW stellte die ersten Fragen: Wie halten Sie es mit dem Transparenzgesetz und kommt Open Government in Ihrem Wahlprogramm vor?
Warum die SPD das Transparenzgesetz nicht realisiert hat, obwohl es fester Bestandteil im Koalitionsvertrag ist, stand damit im Raum – blieb aber leider aufgrund der Abwesenheit der SPD unbeantwortet. Matthi Bolte (Grüne) kritisierte den Koalitionspartner und versuchte sich in einer Erklärung, dass nachgeordnete Behörden “noch nicht so weit” seien. Da brauche es noch Zeit zur Abstimmung in die Tiefe. Hoffnung mache, dass das Transparenzgesetz nach wie vor auf der Agenda stehe.
Ob Open Government im grünen Wahlprogramm steht, beantwortete Matthi Bolte mit “Ja”, komplettierte: OpenGov heißt aber nicht, dass etwas von oben verordnet wird. Es müsse auch an der Basis verankert sein, also von unten gefordert und gelebt werden.
Robert Stein (CDU) steht dem Thema Transparenzgesetz ebenfalls sehr offen gegenüber. E-Gov und Teilhabe gelte es zu verbessern, der Informationsfluss müsse vereinfacht werden.
Frank Herrmann (Piraten) erklärte, Open Government komme im Wahlprogramm der Piraten als Wort gar nicht vor: die Haltung von Open Government jedoch sei in vielen realen Politikbezügen verwoben. Es gelte, Offenheit generell im Verwaltungs- und Regierungshandeln zu leben. Open Data etwa bedeute, dass grundsätzlich erstmal alle Daten offen seien – es fänden sich immer mehr Menschen, die diese Daten entdecken und einen Mehrwert daraus schöpften.
Marcel Hafke (FDP) erklärte Open Government und Open Data dienten einer bürgerfreundlichen Verwaltung und zahlten auf eine digitale Verwaltung ein, die die neue Informations- und Kommunikationstechnik gewinnbringend für die Bürger nutzen würde. Bis 2030 solle diese vorangetrieben werden. (Wobei sich der Zuschauer fragte, warum so lange Zeithorizonte notwendig sind, wenn jetzt schon alles zu langsam geht.) Hafke wünschte sich, Standards für Offene Daten müssten geklärt werden, um Daten zu veröffentlichen. Dies sei eine landespolitische Aufgabe.
Der CIO von NRW, Hartmut Beuß erklärte den Rahmen: Die Open Government Strategie 2014 richte sich zunächst an die Landesregierung NRW. Aber das reale Leben spiegele sich in den Kommunen, die seien bisher noch freiwillig unterwegs, wenn es um offenes Verwaltungs- und Regierungshandeln gehe. Daher sei der Pakt zwischen den Kommunen und dem Land NRW im letzten Jahr entstanden: Open Government Pakt NRW. Hier gehe es um den Brückenschlag einer Open-Strategie auch in die Kommunen hinein. Zentrale Säulen der Zusammenarbeit benannte er hier mit Kooperation und Kommunikation, jedoch ohne Verpflichtung. Open Government sei ein vielversprechender Weg, der politisches Handel impliziere, ohne dazu verpflichtet zu sein. „Ich kann auch freiwillig aktiv werden“, so seine Aufforderung. Und weiter: „Keiner kann sich heute leisten, Open Government nicht umzusetzen.“
Warum ist ein Transparenzgesetz in NRW eigentlich notwendig?
Frank Herrmann (Piraten) begründetet dies mit dem nötigen Perspektivwechsel von der Holschuld hin zur Bringschuld der Verwaltung gegenüber den Bürgern. “Die Bürger haben das Recht auf Informationen.” Daten zu öffnen sei ein Grundprinzip.
Dieter Hofmann hakte nach: Warum ist das Transparenzgesetz so schwer durchzusetzen?
Matthi Bolte erklärte, es sei ein Gesetz, welches mit allen Ministerien und nachgelagerten Behörden sowie den Kommunen abzustimmen sei. Es sei schwierig, weil nicht nur unterschiedliche Themen zu adressieren seien, sondern auch unterschiedliche Institutionen einbezogen werden müssten. Ein erster Schritt zum Kulturwandel sei geschafft: 500.000 Euro stehen bereit für das große Unterfangen “Open Government” in den Kommunen NRWs. Mehr Raum für Experimente der Verwaltungen sei so möglich. Eine gesetzliche Verpflichtung folge dann (hoffentlich) in der nächsten Legislaturperiode.
Marcel Hafke (FDP) regte ein bürokratiefreies Jahr etwa für Start-ups an. Ins Feld führte er jedoch den Einwand, wonach nicht alle Kommunen einem solchen Gedanken offen gegenüber stünden – sie wollten die Regularien lieber selbst bestimmen. Als Land sei es die Aufgabe hier Allgemeingültiges zu schaffen, in der Frage, wie Open Government künftig ausgebaut werde. Anfangen könne man auch mit einer kleinen Menge an Daten. Zudem streifte er das Thema der Ungleichheit: Was ist, wenn es Open Data in Wuppertal gebe, in einer anderen Kommune aber nicht? Klüger sei es, allen Kommunen einen Anschub zu geben, von dem Bürger und Unternehmen in allen Kommunen profitieren könnten, sonst entstehen weitere strukturelle Ungleichheiten. Die FDP sei klar für ein Transparenzgesetz.
Für Kommunen brauche es eine Anleitung meint auch Frank Herrmann, Nutzen und Standards seien Vorschläge – Kommunen könnten dies noch ergänzen.
Robert Stein (CDU) wollte den Beschlüssen seiner Partei nicht vorgreifen, ob es ein Transparenzgesetz NRW geben werde. Gespräche dazu würden geführt. Einheitlichen Standards stand aber auch er offen gegenüber.
Bei DIE LINKE steht, so Jasper Prigge, die Forderung nach einem Transparenzgesetz wie in Hamburg im Wahlprogramm. Zudem sei die Diskussion nicht neu, sondern schon seit langem bekannt – warum man noch über Standards diskutieren müsse, sei rückwärtsgerichtet. Es brauche für die Umsetzung zudem finanzielle Mittel, die auch Kommunen zur Verfügung stehen müssten, die sich ggf. in der Haushaltssicherung befinden. Auch sie müssten die Chancen haben, hier weiter zu kommen, trotz klammer Kassen.
Panagiotis Paschas bekräftigte, dass Kommunen auf dem Weg zum Open Government Unterstützung brauchen, insbesondere finanziell schwache Kommunen bräuchten Hilfe. Prozesse von unten könnten den Prozess beschleunigen.
Matthi Bolte (Grüne) zielt nicht nur auf den Punkt der Bereitstellung von Open Data hin. Der Prozess von Open Government beziehe sich auch auf weitere Säulen, wie etwa gute Beteiligungsformate, die die Städte eingeführt hätten, um eine bessere Beteiligung und Teilhabe der Bevölkerung sicher zu stellen. Auf dem Weg zu einer Realisierung suche man eben nicht nach einem einzigen großen Leuchtturmprojekt, sondern die Summe der vielen kleinen guten Projekte zahle in Gänze ein auf einen solchen breiten Kulturwandel.
Der CIO NRW Hartmut Beuß machte deutlich, dass die Ressourcen des Landes begrenzt seien, die Erwartungshaltung an das Land sei daher in Grenzen zu halten. Zwei wesentliche Dinge benannte er: a) das aktuelle Förderprogramm solle kein einmaliger Vorgang werden, die Kommunen, die Förderung erfahren, sollten auch einen Beitrag leisten – am besten als Lerneffekt für andere Kommunen ihr Wissen weitergeben. b) Die kommunale Familie – in Zusammenarbeit mit den kommunalen Spitzenverbänden – sollte den Prozess gemeinsam meistern und Open Government in den Verwaltungen bis 2020 umsetzen.
Soll man auf Open Data-Standards warten?
Schließlich stößt ein Gast aus den Zuschauerreihen zum Panel dazu. Denn: Die Diskussion war um das Format des Fishbowl erweitert: Ein Platz blieb stets frei für einen Gast, der sich nach vorne gesellte und direkt Fragen stellen konnte. Seine Frage war: Wie sich die Stadt Essen aufstellen sollte, wenn es um Standards gehe… Eine kurze Fachdiskussion entbrannte. Beuß empfahl: Bitte nicht den Prozess in Essen abbremsen bis es Standards vom Land NRW gäbe – sondern schon anfangen und Eigeninitiative umsetzen.
(…)
Dieser Einstieg soll als Appetithappen verstanden werden. Den gesamten Verlauf der Diskussionsrunde mit den Teilnehmern kann man hier nachhören. Nach Ostern folgen noch einige Einzelinterviews mit den Teilnehmern. Wir verlinken dazu, sobald die Beiträge verfügbar sind.
Vielen Dank für die Bilder an Stephan Kottas. Noch mehr davon gibt es hier.
Autorin: Dr. Anke Knopp
Nachbericht zur Veranstaltung in der Westedeutschen Zeitung vom 30.03.2017