OKNRW-Barcamp 2024: Demokratie stärken
Der Duft von Glühwein weht vom Wuppertaler Weihnachtsmarkt herüber, während sich in der benachbarten Volkshochschule an diesem grauen Novembermorgen die Teilnehmer*innen des dreizehnten Barcamps der Offene Kommunen.NRW Instituts versammeln.
„Von der Ohnmacht zum Handeln – Wie wir vor Ort unsere Demokratie stärken können“ lautet das Motto, zu dem die Teilnehmer*innen unterschiedliche Vorstellungen mitbringen. Nach der Begrüßung durch das OKNRW Institut stellen sich die Anwesenden vor: Eine interessante Mischung aus Nerds, Verwaltungsmenschen, Bürgerbeteilungsexpert*innen, Umwelt- und Demokratieaktivist*innen.
Etwa ein Drittel ist zum ersten Mal bei einem Barcamp dabei. Bei der Sessionplanung bildet sich eine lange Schlange durch die Aula der Volkshochschule. Die Vorschläge sind vielfältig: Mehrere Menschen wollen über Aspekte von Künstlicher Intelligenz sprechen, andere über praktische Erfahrungen bei der Bürgerbeteiligung berichten. Ein Teilnehmer schlägt vor: „Ich würde gerne darüber reden, was wir in Wuppertal gegen die AfD tun können.“
Das Sessionboard füllt sich zügig mit 24 Workshops, die in vier parallelen Zeitslots vom Morgen bis zum Nachmittag diskutiert werden sollen.
Alle Sessions im Überblick
Track 1 – 10:00 Uhr Track 1
- Generative KI und die Commons – Wie wir uns als Zivilgesellschaft zum Hype verhalten – stk@chaos.social
- OKR & OpenGov. – André Claaßen
- World-Café Transparenz & Öffentlichkeit – Iris
- Stadtgrün & Bürgerbeteiligung – Michael Felstau
- Vorstellung Demokratie Barcamps für Wuppertal 2025, Diskussion: Wie können breite Milieus mobilisiert werden? – Anni Roolf,Martin Ebendorff
- Zurück zu X! Können vernünftige oder lustige Menschen Social Media zurückkapern? – @greveler
Track 2 – 12:00 Uhr
- Mehr digitale Bürgerbeteiligung in NRW – @opennrw (Sandra & Simon)
- www.politik-in-wuppertal.de – Jan + Clara
- Wie können Bedürfnisse von Familien besser eingebunden werden? Wie könnne sich Eltern mehr Gehör verschaffen? – Janna Prager
- Was ist Wohlstand? (Mindesteinkommen, Bedürfnisse, Bildung) – Rainer Vohwinkel
- Lokaler Aktivismus „Best Practices“ – @fedifreunde.de / @korporal
- Gedenk- und Lernort Kemna – Barbara Herfurth-Schlömer
Track 3 – 14:00 Uhr
- Zukunft des Lokaljournlismus – Martina Wosnitza
- #Freiflächen #Transparenz #Beteiligungwestrad
- Circular BUGA („Diskussion findet Stadt“) – Beate Petersen,Michael Felstau,Ella Bauer
- Bürgerräte im Austausch – Ludwig Weitz
- KI in Smart Cities mit Open Innovation – Peter Flesch
- Quartiersarbeit
Track 4 – 15:00 Uhr
- Desinformation im politischen Diskurs – Eine Gefahr für die Demokratie? Wie kann ein KI-basierter Lösungsansatz aussehen? – Philipp /@polityfy
- „hard to reach“ oder „hard to reach out“? – Sarah Kleinelsen
- Freie Soziale Medien – Christian Nähle
- Keine AFD in Wuppertal – Petra Schaute
- Frage: Wie hole ich die schweigende Mehrheit oder bildungsferne Schichten
- #Demokratie – Quo vadis? – Britta Söntgerath
In vier Workshops gibt es hier einen kurzen Einblick:
Logikbasierte KI als Gegenmodell
In der Aula leitet Stefan Kaufmann, Referent bei Wikimedia, eine Session ein, in der er sich kritisch mit dem Hype um generative KI auseinandersetzt. Er erläutert die zwei grundlegenden Ansätze der KI-Forschung: Die auf neuronalen Netzwerken basierende generative KI und die logik- oder regelbasierte KI, die mit maschinenlesbaren, automatisiert bereitgestellten Informationen arbeitet. Kaufmann benennt die Probleme der generativen KI deutlich: Urheberrechtsfragen bei den Trainingsdaten, prekäre Arbeitsbedingungen für Clickworker im globalen Süden und der enorme Energieverbrauch. In den USA werden sogar Atomkraftwerke nur für Microsoft und Google weiterbetrieben. Hinzu kommt die Produktion von Elektroschrott. Der Entwicklungsaufwand führe außerdem dazu, dass nur große Anbieter im Markt bestehen können. Freie Projekte und kleine Teams hätten keine Chance.
In der öffentlichen Verwaltung beobachtet Kaufmann einen gewissen Druck, KI-Lösungen einzuführen – oft in Form von Chatbots. Häufig würden dabei ineffiziente Prozesse lediglich oberflächlich verbessert. Kaufmann plädiert stattdessen für logikbasierte KI-Systeme, sieht aber praktische Hindernisse. Als Beispiel zeigt er das Organigramm eines Ministeriums: Mit Powerpoint erstellt und als PDF gespeichert – denkbar ungeeignet für logikbasierte KI-Anwendungen. Er warnt davor, dem Hype um generative KI zu verfallen. Man solle sich immer fragen, ob sie überhaupt geeignet ist, ein Problem zu lösen, ob es verhältnismäßig ist, sie einzusetzen und zu betrachten, welche negativen Seiteneffekte auftreten können. Sein Appell: Mehr maschinenlesbare Datensätze anlegen. In der anschließenden Diskussion fragen Teilnehmer*innen, wie man für mehr Basiswissen über Künstliche Intelligenz sorgen könne, etwa über ethische Fragestellungen. Zur Frage von KI in der öffentlichen Verwaltung äußert ein Teilnehmer den Eindruck, es werde „gemacht, um gemacht zu werden”.
Zum Mitmachen anregen
Das Projekt politik-in-wuppertal.de stellen Jan Kirschbaum von der Bergischen Volkshochschule und Claudia Utsch vom Team Bürgerbeteiligung der Stadt Wuppertal bei ihrer Session vor. Die Idee zu der Internetseite entstand im Rahmen eines Volkshochschulkurses: Wäre es nicht gut, Informationen zu allen Beteiligungsmöglichkeiten in Wuppertal auf einer Seite gebündelt zu haben? Auf der nun entstandenen Seite finden sich große, bunte Kacheln, dahinter Informationen zu je einem Thema, etwa zum Stadtrat. Was ist die gesetzliche Grundlage dafür? Wann trifft der sich? Wo kann man das verfolgen? Leser*innen werden von der Seite immer wieder aufgefordert, sich einzubringen.
Das geht von der Anregung, eine Mail an ein Stadtratsmitglied zu schreiben, bis zum Vorschlag bei den nächsten Oberbürgermeisterwahlen anzutreten. Auf anderen Unterseiten gibt es Informationen etwa über Vereine in Wuppertal oder dazu, wie man eine Demonstration bei der Polizei anmeldet. Den Teilnehmer*innen der Session gefällt die Seite, ihre größte Frage lautet, wie man sie am besten bekannt machen kann. Daran arbeiten die Volkshochschule und das Team Bürgerbeteiligung, die in diesem Jahr erstmals Mitveranstalter*innen des Barcamps sind. Die Internetseite ist noch nicht online. Eine spannende Ergänzung kann Jan Kirschbaum aber schon ankündigen. Im Frühjahr will er im Rahmen von VHS-Angeboten Ratssitzungen besuchen, sie mit den Teilnehmer*innen vor- und nachbesprechen. Vorbild sind die Besuchsangebote von Bundestag und Landtag, nur eben direkt vor der eigenen Tür.
„Democracy dies in darkness“
Um etwas, das es direkt vor der eigenen Tür immer seltener gibt, geht es in der Session von Martin Wosnitza. Der junge Wuppertaler ist Herausgeber des Campus-Magazins “Blickfeld” und hat sich Gedanken über die Zukunft des Lokaljournalismus gemacht. Für seine Session hat er sich das Leitmotiv der Washington Post “Democracy dies in darkness” geliehen und berichtet vom Zeitungssterben in den USA. In fast der Hälfte der Countys gäbe es gar keine Zeitungen mehr. Eine Entwicklung, die populistische Einstellungen befördert. Auch in Deutschland geht der Zeitungsmarkt zurück. Der “Wüstenradar” des Netzwerk Recherche zeigt einen erheblichen Rückgang des Zeitungsangebots in Deutschland in den letzten 30 Jahren. Negative Folgen für die demokratische Partizipation kann der “Wüstenradar” zwar noch nicht ausmachen, warnt aber davor.
Martin Wosnitza verweist in seiner Session auf Forschungsansätze, die darauf hinweisen, dass fehlender Lokaljournalismus der AfD nütze. Einschränkend erklärt er, dass sich die Forschung bisher auf dem Niveau von studentischen Abschlussarbeiten bewege. Lösungsansätze für die Krise des Lokaljournalismus sind für Wosnitza etwa der konstruktive Journalismus oder Journalismus, der communityorientiert ist. Als Beispiel nennt er den Bristol Cable aus England, bei dem die Leserschaft umfangreich in die Ausrichtung der Zeitung eingebunden wird. Diskutiert wird bei der Session vor allem über die Frage, ob das Modell einer Zeitung überhaupt noch zeitgemäß ist. Teilnehmer*innen wünschen sich das schon oft diskutierte “Spotify für Journalismus” oder erklären, dass sie lieber einzelne Journalist*innen unterstützen als ein ganzes Medium. Auch über das Für und Wider von Bezahlschranken wird gesprochen.
Wen erreichen wir mit Beteiligung?
Sarah Kleinelsen stellt ihre Session unter das Motto „hard to reach“ oder „hard to reach out“? Wenn man über die Zukunft von Gesellschaft spreche, müsse man auch darüber reden, wer spricht und wer dabei mitgedacht wird und wer eben auch nicht. Ein ernüchternder Erfahrungsaustausch. Kleinelsen hat drei Fragen vorbereitet. Wen trifft man bei Beteiligungsformaten? Die Antwort zusammengefasst: Gesunde deutsche Akademiker*innen Ü30 mit einer gewissen Selbstwirksamkeitserfahrung.
Wen trifft man nicht? Menschen, die Pflege- und Erziehungsaufgaben haben, Alte, Kranke, Arme und Migrant*innen. Und wie könnte es anders gehen? Dazu gibt es viele Ideen. Besonders oft genannt wurde eine zielgruppengerechte, niedrigschwellige Ansprache. Andere betonten, dass man Orte aufsuchen solle, die Gruppen nutzen, die man in Beteiligungsverfahren einbeziehen möchte.
Nach vier intensiven Sessionrunden endet das Barcamp 2024 mit einer kurzen Abschlussrunde. Das vielfältige Programm erhält viel Zuspruch, doch die Verlockungen des Weihnachtsmarkts und einer nahen Pizzeria führen zu einem zügigen Ausklang des Tages.
Text: Sebastian Weiermann
Foto: Wolfgang Birke